Medikamentöse Schmerztheraphie
Vor jeder Behandlung einer chronischen Schmerzerkrankung steht natürlich immer die Diagnose und adäquate Behandlung der Grunderkrankung. Hierdurch können in vielen Fällen auch die Schmerzen vermindert werden. Zusätzlich ist es wichtig, eine chronische Schmerzerkrankung möglichst frühzeitig zu behandeln, denn ein andauernder Schmerzreiz läßt, wie man heute weiß, ein ,,Schmerzgedächtnis" entstehen, was dazu führen kann, daß die Schmerzen chronisch werden. Außerdem sind zu lange andauernde unbehandelte Schmerzen schwerer zu therapieren.
Zur Behandlung akuter Schmerzen werden vor allem schnellwirkende Mittel eingesetzt, die dann allerdings nur eine kurze Wirkungsdauer besitzen. Für die Therapie von chronischen starken Schmerzen sind sie aus diesem Grund weniger gut geeignet. Hier kommt es darauf an, daß die Wirkung der Medikamente möglichst lange anhält. Ziel der Schmerztherapie ist es, durch Auswahl geeigneter Schmerzmittel und angemessene Dosierung zu erreichen, daß der Betroffene dauerhaft keine oder kaum Schmerzen empfindet. Denn schmerzfreie Patienten sind entspannt, haben weniger Ängste oder Depressionen und mehr Freude am Leben.
Voraussetzung für eine dauerhafte Schmerzfreiheit bei chronischen Schmerzzuständen ist die regelmäßige Einnahme der Medikamente nach einem festen Zeitplan. Die konsequente Verabreichung ,,nach der Uhr“ sichert gleichmäßig hohe Wirkstoffspiegel und verhindert das erneute Auftreten von Schmerzen. Die Wirkdauer der Präparate sollte möglichst so lang sein, daß die Patienten nicht durch die Einnahme der Medikamente in der für die Entspannung und Erholung so wichtigen Nachtruhe gestört werden. Ein weiterer Vorteil ist es, daß die Patienten ihren Tagesablauf gestalten können, ohne die Einnahme des Medikamentes in kurzen Zeitabständen einplanen zu müssen. Für eine langfristige Schmerztherapie bei chronischen Schmerzerkrankungen stehen mittlerweile Medikamente zur Verfügung, deren Wirkung, zum Beispiel beim Fentanyl-Schmerzpflaster, bis zu 72 Stunden anhält.
Ganz wichtig: Die nächste Medikamentengabe sollte nicht wie etwa bei gewöhnlichen Schmerzen (z.B. bei episodisch auftretenden Kopfschmerzen) dann erfolgen, wenn erneute Beschwerden auftreten, sondern bevor der schmerzstillende Effekt des Präparates nachläßt. Nur dadurch bleibt der Wirkspiegel des Medikamentes immer gleich hoch. Die Erinnerung an den Schmerz und die Furcht vor einer neuen Schmerzattacke werden vermieden. Dieses Prinzip der Antizipation, also der vorbeugenden Behandlung von Schmerzen, verhindert zusätzlich eine psychische oder körperliche Abhängigkeit von Schmerzmitteln. Abhängigkeit entsteht nur wenn der Wirkspiegel im Blut und im Gehirn ständig wechselt. Dies ist euphorisierend und somit suchtauslösend. In der Behandlung einer chronischen Schmerzerkrankung werden deshalb fast immer sogenannte retardierte Schmerzmittel eingesetzt, bei denen der Wirkstoff langsam an den Körper abgegeben wird. Die Wirkstoffspiegel bleiben bei diesen Medikamenten über lange Zeit gleich hoch. Eine aufputschende Wirkung kann dabei gar nicht erst entstehen.
Heutzutage wird die medikamentöse Schmerzbehandlung von allen chronischen Schmerzen nach den 1986 für die Therapie von Tumorschmerzen aufgestellten Regeln der Weltgesundheitsorganisation (WHO) durchgeführt. Die WHO unterscheidet drei Stufen: die Behandlung mit leichten, mittelstarken und starken Schmerzmitteln. Die Medikamente in Stufe 1 des WHO-Schemas wirken schmerzstillend, entzündungshemmend und fiebersenkend. Beispiele sind die Acetylsalicylsäure, Paracetamol, Metamizol. Bei einer dauerhaften Anwendung über Monate oder Jahre können allerdings durch manche dieser Medikamente Schäden an der Magen- und Darmschleimhaut entstehen. Wenn mit den Präparaten dieser Stufe keine ausreichende Linderung der Schmerzen mehr zu erreichen ist, werden sie in Stufe II mit morphinähnlichen Mitteln, sogenannten schwachen Opioiden, kombiniert.
Die Kombination von schwachen Opioiden mit Medikamenten der Stufe 1 verbessert die Schmerzlinderung, da die Substanzen der beiden Stufen die Schmerzen an unterschiedlichen Stellen im Körper bekämpfen. Schwache Opioide der Stufe 2 werden so lange gegeben, wie die von ihnen erzielte Schmerzreduktion ausreicht. Danach werden sie in Stufe 3 durch stark wirksame opioidhaltige Schmerzmittel ersetzt.
Die Behandlung chronischer Schmerzen ist in der Regel eine Dauertherapie über mindestens mehrere Monate oftmals auch länger, was aber nicht bedeutet, daß sie die ganze Zeit über unverändert bleibt. Aus diesem Grunde ist eine regelmäßige Therapiekontrolle erforderlich. Die Behandlung muß dem fortschreitenden und sich eventuell verändernden Schmerzcharakter angepaßt werden. Bei der Kontrolle werden wir daher fragen, ob sich die Schmerzintensität oder Ihre Leistungsfähigkeit verändert haben. Wir fragen auch, ob Sie mit der Therapie zufrieden sind. Außerdem sind natürlich Angaben über evtl. Unverträglichkeiten oder mögliche Nebenwirkungen wichtig.
Unerwünschte Wirkungen werden bei fast allen Medikamenten beobachtet. Die häufigste Nebenwirkung bei der Behandlung mit fast allen opioidhaltigen Schmerzmitteln ist eine (hartnäckige) Verstopfung - Unterschiede sind von Medikament zu Medikament und von Patient zu Patient natürlich immer gegeben. Eine Kombination mit Abführmitteln ist aber in fast allen Fällen notwendig.
Außerdem können eine Ernährungsumstellung mit ballaststoffreicher Kost, der Zufuhr von reichlich Flüssigkeit und, wenn möglich, viel Bewegung Verstopfungen vorbeugen. Weitere Begleiterscheinungen aller Opioide können gerade zu Beginn der Schmerztherapie Müdigkeit [viele Patienten haben aber auch gerade zu Beginn einer Schmerztherapie ein enormes Schlafdefizit, da sie oft über lange Zeit vor Schmerzen nicht schlafen konnten] und Übelkeit mit Erbrechen sein. Nach kurzer Zeit der Anpassung gehen diese Erscheinungen aber vorüber. Manchmal müssen aber auch gegen diese Nebenwirkungen weitere Begleitmedikamente gegeben werden.
Eine versehentliche Überdosierung von starken Schmerzmitteln kann in seltenen Fällen zu einer Schwächung des natürlichen Atemantriebes führen. Dadurch können Sie kurzzeitig das Bewußtsein verlieren. Deshalb ist es wichtig, daß Ihre Angehörigen oder Freunde von Ihren Medikamenten wissen. Nur dann können sie richtig reagieren, wenn eine solche Schwächung des Atemantriebes auftritt.
Ganz wichtig: Der Atemantrieb wird nicht geschwächt, wenn die Medikamente genau nach Vorschrift eingenommen werden! Ändern Sie deshalb nicht eigenmächtig die Dosierungsvorschriften Ihres Arztes.
Oftmals ist es bei der Behandlung chronischer Schmerzen sinnvoll und zweckmäßig Schmerzmedikamente und andere Medikamente, die dann auch eine schmerzlindernde Wirkung haben, zu kombinieren. So können bestimmte Antidepressiva die Wirkung von Schmerzmitteln verstärken und gleichzeitig auch die Stimmungslage aufhellen. Bei innerer Unruhe und Schlafstörungen haben Tranquilizer beruhigende Wirkung. Krampflösende Medikamente, sog. Antikonvulsiva und auch Antispastika, werden bei einschießenden, sogenannten neuropathischen Schmerzen (neuropathische Schmerzen = Schmerzen die durch eine direkte Reizung der Nerven hervorgerufen werden) eingesetzt. Schwellungen des Körpergewebes, die z. B. durch einen Tumor hervorgerufen worden sind und Schmerzen bereiten, können durch die abschwellende Wirkung von Cortisonpräparaten behandelt werden. Bei Knochenmetastasen wirken Bisphosponate oft schmerzlindernd.
Auch diese Begleitmedikamente müssen nach einem festen Zeitplan eingenommen werden. Um die erwünschte Wirkung dieser Begleitmedikamente zu erzielen, ist in vielen Fällen die Einnahme über einen längeren Zeitraum erforderlich. Sie sollten also gerade bei diesen Mitteln nicht erwarten, daß nach 3 bis 4 Tagen bereits der schmerzlindernde Effekt zu spüren ist. Dies werden wir Ihnen aber jeweils ausführlich erläutern.
Antiemetika
(Mittel gegen Übelkeit und Brechreiz) Am Anfang einer Schmerztherapie mit Opioiden kann es zu Übelkeit kommen, die sich meistens nach den ersten 2 Wochen bessert. Um diese für Sie nicht einfach zu überstehende Zeit zu überbrücken, stehen verschiedene Medikamente gegen die Übelkeit zur Verfügung. Die sogenannten Antiemetika gibt es in Zäpfchen-, Tropfen- oder Tablettenform.
Antidepressiva
Von bestimmten Antidepressiva weiß man heute, daß sie auch eine schmerzlindernde Wirkung haben. Besonders bei brennenden (sog. neuropathische Schmerzen Definition s. oben) Schmerzen ist diese schmerzmindernde Komponente wirksam. Zusätzlich kann auch die stimmungsaufhellende Wirkung der Antidepressiva hilfreich sein.
Tranquilizer
Diese beruhigenden Medikamenten sind bei innerer Unruhe und Schlafstörungen hilfreich. Auch bei Angst- und Spannungszuständen können sie zeitlich begrenzt verabreicht werden.
Neuroleptika
Diese Medikamentengruppe wirkt in erster Linie dämpfend. Neuroleptika verstärken die Wirkung von Schmerzmitteln. Hilfreich sind sie auch bei der Behandlung der Übelkeit.
Antikonvulsiva und Antispastika
Bei einschießenden Nervenschmerzen (sog. neuropathische Schmerzen : Definition s. oben) kann die zusätzliche Gabe von Antikonvulsiva oder Antispastika sinnvoll sein. Diese Mittel sind zur Behandlung von Krampfanfällen oder bei spastischen Beschwerden entwickelt worden. Es hat sich aber gezeigt, daß sie bei den oben genannten neuropathischen Schmerzarten sehr gut wirksam sind.
Cortison
Wenn durch einen Tumor eine Schwellung des umgebenden Gewebes ausgelöst wird, kann die abschwellende Wirkung des Cortisons zu einer deutlichen Besserung des bestehenden Schmerzes führen. Wird durch einen Tumor oder durch Metastasen in der Lunge die Atemtätigkeit erschwert, so kann Cortison die Atemwege erweitern und so die Atmung erleichtern. Auch Gelenkschmerzen, die durch einen Tumor ausgelöst werden, können durch Cortison nachlassen, Viele Betroffene fürchten die Nebenwirkungen des Cortisons. Bei einer Kurzzeittherapie muß in erster Linie auf den Blutzuckerspiegel geachtet werden, weil dieser während der Behandlung ansteigen kann. Besonders häufige Kontrollen sind bei Diabetikern erforderlich. Bei einer längeren Behandlung mit Cortison können Magengeschwüre auftreten. Diesem Problem kann man vorbeugen, wenn man gleichzeitig magenschützende Substanzen dazu gibt. Demgegenüber treten Entkalkungen des Knochens nur nach einer längeren Einnahme von Cortison auf. Eine ,,positive Nebenwirkung" von Cortison ist zum Beispiel die appetitanregende Wirkung. Diese Appetitsteigerung kann für Sie insofern positiv sein, als die Krebserkrankung und ihre Behandlung häufig zu Gewichtsverlust führen. Auch ist die stimmungsaufhellende Wirkung von Cortison durchaus erwünscht.
Bisphosponate
Diese Medikamente werden zur Behandlung von Schmerzen bei Knochenmetastasen eingesetzt. Bisphosponate wirken auf den Knochenstoffwechsel und beeinflussen den Knochenumbau. Sie können einen zu hohen Kalziumspiegel normalisieren.
Abführmittel (Laxantien)
Gerade starke Schmerzmittel (alle Opioide) können eine hartnäckige Verstopfung verursachen. Hier helfen oft nur Abführmittel, die ggf. auch miteinander kombiniert werden können. Nehmen Sie auch diese Medikamente bitte nur genau nach Vorschrift ein! Gedankenloser Einsatz von Abführmitteln kann die Verstopfung sogar noch verstärken. Um die Verstopfung in den Griff zu bekommen, sollten Sie nicht sofort zu Abführmitteln greifen.
Achten Sie auf ballaststoffreiche Ernährung (Kleie, Leinsamen etc.). Wenn Sie es vertragen, essen Sie Vollkornbrot und viel Gemüse. Viele Menschen können sich auch mit Pflaumensaft oder getrockneten Pflaumen sehr gut helfen. Auch Bewegung ist von großer Bedeutung: Spazierengehen bringt den Darm in Schwung!
Wichtig ist, stets viel zu trinken, denn Abführmittel können nur wirken, wenn dem Körper ausreichend Flüssigkeit (1,5-2 Liter pro Tag) zugeführt wird. Falls Sie Probleme mit der Nierenfunktion haben, besprechen Sie die tägliche Trinkmenge mit uns. Wenn aber mit all diesen Mitteln keine regelmäßige Darmentleerung zu erreichen ist, werden wir Ihnen entsprechende Abführmittel vorschlagen bzw. verordnen.
Seltener als 2 mal pro Woche sollten Sie auf keinen Fall Stuhlgang haben!